E-Learning. Bei diesem Wort läuft vielen ein kalter Schauer über den Rücken. Denn E-Learning ist für viele ein streitbarer Begriff. Ob konservative/r Mediennutzer/in oder Digitalisierungsenthusiasten. Keiner mag „E-Learning“. Und witzigerweise bringen beide Positionen das gleiche Argument: E-Learning habe sich als nicht erfolgreich erwiesen und sei damit tot. Ich reagiere auf diese Aussagen immer verwundert, da sowohl die Wirtschaft als auch bundesweite Förderprogramme E-Learning als quicklebendig ansehen. Und letztlich arbeite ich in einem „E-Learning-Zentrum„, dass alles andere als ein Friedhof ist. Mein „Vergangenheits-Ich“ hatte versucht, diesen Umstand vor allem aus einer technologischen Perspektive aufzuzeigen:

In diesem Beitrag will ich den Rahmen etwas bereiter machen und damit bestehende Vorbehalte gegenüber „E-Learning“ abbauen. Denn ich verorte wesentliche Herausforderungen für die Menschen nicht in vereinzelten Techniktrends. Doch zunächst soll kurz geklärt werden, woher das negative Image von E-Learning kommt.

Das digitale Vergessen

Ein wesentlicher Grund für die negative Einstellung gegenüber E-Leanring ist meiner Meinung nach der kurzfristige Erfolg von E-Learning-Projekten. Hierbei muss man zu vielen E-Learning-Projekten sagen, dass diese nicht nachhaltig sind und waren. Das sehe ich beispielsweise täglich, wenn ich mir eine Wand aus CDs anschaue, in denen alte E-Learning-Projekte gespeichert sind, die sich aber nicht mehr öffnen lassen, weil sich darauf alte und proprietäre Dateiformate befinden. Insofern kann ich konservative wie auch progressive Meinungen verstehen, warum E-Learning in dieser Form gescheitert ist. Denn hier wissen meist auch die Auftraggeber nicht mehr, was sie vor einigen Jahren gemacht haben.
Interessant wird es jedoch in Bereichen, in denen keine (per Definition endlichen) Projekte umgesetzt wurden. Dort funktioniert E-Learning sehr gut. Als klassisches Beispiel seien hier die Web Based Trainings großer Unternehmen zu nennen, die sich erfolgreich etabliert haben. Aber E-Learning ist weit mehr als die digitale Umsetzung von kybernetisch gedachten Feedbackschleifen. Hier möchte ich gegen das digitale (medienpädagogische) Vergessen arbeiten und auf eine Diskurs verweisen, die vor rund einem Jahrzehnt im Kontext von „Web 2.0“ im Fokus stand.

E-Learning 2.0 – Die Vermassung von E-Learning

In dieser Diskussion ging es im Kern um die medienpädagogischen Implikationen auf Lernen und Bildung durch partizipative Bildungstechnologien. Dort stellten unter anderem Benjamin Jörissen und Winfried Marotzki (2007) sowie im kritischen Anschluss daran durch Petra Grell und Franco Rau (2011, 3) fest, dass das Web 2.0 zu einer Vermassung von Lernangeboten im Web führen würde. Dieses Konzept, was Grell und Rau als E-Learning 2.0 beschrieben, wurde spätestens mit dem Aufkommen von MOOCs bildungspraktische Realität. Hieran finde ich zwei Dinge spannend: erstens wurden in dieser medienpädagogischen Diskussion viele Dinge im Kontext von Lernen und Bildung vorausgedacht, die heute durchaus so etwas wie einen Megatrend darstellen, der unter dem Begriff der Digitalisierung firmiert. Zweitens sind MOOCs eine Form von E-Learning. Ich weiß dass das bei einzelnen Machern in diesem Feld zu folgender Reaktion führt:

Aber das würde erklären, warum konservativ eingestellte Menschen in MOOCs die nächste Reinkarnation von E-Learning sehen und diese daher kategorisch ablehnen. In das diskursive Feld von E-Learning 2.0 lässt sich auch die OER-Bewegung verorten. Denn hier geht es im Kern auch um offene Bildungsinhalte und offene Bildungspraxen, die mit Hilfe digitaler Medien umgesetzt werden.
Und das ist die gute Nachricht, wie ich finde: E-Learning (in einem weiten Verständnis) hat neue Formen gefunden, die einen emanzipatorischen Bildungsgedanken ermöglichen. War dies vor zehn Jahren innerhalb der Medienpädagogik noch ein experimentelles Feld, so kann man sagen, dass Anno 2017 in Form von Webinaren, bezahlten Onlinekursen, MOOCs, OER etc. ein konkreter Acker daraus geworden ist. Und es ist meiner Meinung auch gut, dass sich klassische institutionelle Lernsettings sich diesem Möglichkeitsraum nicht mehr verschließen können und vielerorts das auch nicht mehr wollen. Wir alle wissen noch nicht, welche evolutionären und disruptiven Entwicklungen die Digitalisierung noch mit sich bringen wird. Mit Blick auf das bereits konkret Umgesetzte lässt sich jedoch konstatieren, dass die Umwälzungen die kommen werden für viele Menschen massiv und existentiell sein werden.

Digitalisierung und Orientierung

Denn seien wir ehrlich: viele Arbeitsplätze werden verloren gehen. Wer braucht Verwaltungs- und Büroangestellte, Taxi- und LKW-Fahrer, wenn KIs 24h lang arbeiten können. Und dass im Zweifel sogar noch effizienter. Wer braucht denn noch viel Personal bei der Bank, wenn Computer Kreditrahmen in sekundenschnelle berechnen können. Wer braucht denn noch Fließbandarbeiter, wenn Robotik das alles übernehmen kann? Digitalisierung ist kein Trend, sondern jenes Moment, dass uns vor Augen führen sollte, wie wir die Menschen auf diese Entwicklung vorbereiten und diesen neue Perspektiven eröffnen (lassen). An dieser Stelle möchte ich auch auf ein Zitat von Dieter Baacke hinweisen, dass diese Situation vor mehr als zwei Jahrzehnten(!) treffend pointiert hat:

„Es ist die Informationsgesellschaft, die den Modus unseres In-der-Welt-Seins heute reguliert. Nicht das Proletariat (so Marx), sondern das Kognitariat ist heute bestimmend. Minutiös eingestellte Technologien bauen unsere Massendemokratie (und die Massenmedien) ab; es entsteht ein Prozess der Entmassung, mit Kommunikationsinhalten, die auf Gruppen, Individuen und bestimmte Kulturen zugeschnitten sind“ (Baacke 1998, 100; Herv. i. Orig.).

Das, was die breite Digitalisierung mit sich bringt, ist daher ein dialektischer Prozess: einerseits werden digitale Bildungsangebote einer breiten Öffentlichkeit angeboten. Andererseits führt diese Vermassung der Bildungsangebote gleichzeitig zu einer Entmassung der Lernenden. Denn an die Stelle von singulären Curricula und Institutionen werden dezentrale Bildungsorte bzw. -angebote treten. Und damit verbunden die Notwendigkeit eigene Orientierungen aufzubauen und gleichzeitig auch zu hinterfragen. Digitalisierung und E-Learning 2.0 beinhalten daher auch ein pädagogisches Kernanliegen, dass unhintergehbar ist: Bildung.

Literatur

  • Baacke, D. (1997): Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer.
  • Grell, Petra; Rau, Franco. (2011): Partizipationslücken – Social Software in der Hochschullehre. In: MedienPädagogik, Themenheft 21: „Partizipationschancen im Kulturraum Internet nutzen und gestalten – Das Beispiel Web 2.0″. Link: http://www.medienpaed.com/article/view/144
  • Jörissen, Benjamin und Winfried Marotzki. 2007. «Neue Bildungskulturen im Web 2.0: Artikulation, Partizipation, Syndiaktion.» In Internet – Bildung – Gemeinschaft, hrsg. v. Friederike von Gross, Winfried Marotzki u. Uwe Sander, 203–225. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.